ein Beitrag von Martin Arnold für den Rundbrief des BSV (hier als pdf)
Der Bund für Soziale Verteidigung und das Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung haben eine Stiftung gegründet.
„Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen“ (Mao). Die Schädigung des Gegenübers („Gewalt“) gilt in Konflikten weithin als das letzte, stärkste Mittel. Dieser „Mythos der erlösenden Gewalt“ wird uns seit langem weitergegeben. Er hat ungeheure Opfer gekostet. Nicht überall ist er selbstverständlich. Mohandas K. Gandhi, genannt „Mahatma = Große Seele“, war der gegenteiligen Überzeugung: „Die Kraft von Liebe und Mitleid ist unendlich viel größer als die Kraft von Waffen.“
Wer hat Recht: Mao oder Gandhi?
Die Sozialwissenschaftlerinnen Chenoweth und Stephan untersuchten 323 Kampagnen und Aufstände für mehr Demokratie weltweit von 1900 bis 2006 („Why Civil Resistance Works“, 2011), die teils mit Waffengewalt begonnen wurden, teils gewaltlos waren oder mit geringer Anwendung von Gewalt. Ergebnis: Gewaltlose Kampagnen hatten zu 53% Erfolg, auch noch Jahre später, gewaltsame nur zu 26%. Diese Erfolgsquoten überraschten nicht nur die Forschenden. Sozio- und Politolog*innen staunten.
Gandhi 1940: „Wir staunen in diesen Tagen immer wieder über die verblüffenden Entdeckungen auf dem Gebiet der Gewalt. Aber ich behaupte: Noch viel mehr ungeahnte und sogar für unmöglich gehaltene Entdeckungen wird es auf dem Gebiet der nonviolence geben.“ Wir erleben das heute. Diese Sätze des Inders zieren die Präambel der neuen Stiftungssatzung.
Gandhi entwickelte das zu „Liebe und Mitleid“ passende Konfliktaustragungskonzept und erprobte es öffentlich. Seine Streitkunst nannte er Satyagraha. „Satya = Wahrheit“ war für ihn eine Tätigkeit mit Liebe. Oft wird sein Begriff mit „Festhalten an der Wahrheit“ übersetzt. Er selbst erklärte Satyagraha als die Kraft, die aus Wahrheit und Liebe entsteht und nannte sie auch Seelenkraft, Wahrheitskraft oder Liebeskraft. Satyagraha ist für ihn voller Power.
Weltgeschichte verändert
Mit dieser Streitkunst wurde Indien unabhängig von britischer Kolonialherrschaft. Ghana nutzte das Konzept erfolgreich und wurde wie die US-Bürgerrechte-Bewegung seit 1955 sowie die philippinische „Rosenkranz-Revolution“ 1986 anderen zum Vorbild. Die Grafik zeigt, wie seit Gandhis Salzmarsch 1930 weltweit immer mehr Bewegungen die gewaltfrei-gütekräftige Vorgehensweise wählten – bis heute: Fridays for Future, Extinction Rebellion, ins Bücheler Gelände Eindringende leisten wirksam Zivilen Ungehorsam – diesen hatte Gandhi durch große Risikobereitschaft und Bescheidenheit bekannt und ehrbar gemacht. Seit 2000 ist nonviolence in Demokratiekonflikten normal geworden – noch vor 80 Jahren utopisch (Grafik). So wurde und wird Weltgeschichte verändert – Gandhis wunderbares Geschenk an die Menschheit!
Autor MARTIN ARNOLD ist Friedensforscher und einer der beiden Vorsitzenden der Stiftung Kraft der Gewaltfreiheit. Siehe https://martin-arnold.eu
Die Streitkunst des Inders wird weltweit nonviolence / Gewaltfreiheit genannt. Warum? In Indien gilt oft als besonders stark, wer „ahimsa = Nicht-Gewalt / non-violence“ übt, nämlich seelenstark. Gandhi machte sich, als er satyagraha mit non-violence wiedergab, wohl nicht klar, dass im Westen Gewalt als das Stärkste und Nicht-Gewalt auch möglicherweise als moralisch gut, aber als schwach gilt. Durch „aktive Gewaltfreiheit“ wird bei uns ausgedrückt, dass Gewalt-Verzicht nicht alles ist, sondern starkes Tun dazugehört. Gandhi würde heute satyagraha wahrscheinlich nicht als „non-violence“, sondern eher als „power of goodness“ wiedergeben, wie es Quäker tun, denen auch die Wirksamkeit auszudrücken wichtig ist, französisch „force de la bonté“, deutsch „Gütekraft“ oder „Kraft der Gewaltfreiheit“ – so heißt unsere neue Stiftung.
Forschung, Praxis und Bildung voran- und näher zusammenbringen! Wir wollen die Kräfte für Frieden und Gerechtigkeit, auch gegenüber der Natur, stärken, die Kraft der Gewaltfreiheit bekannter machen und materiell unabhängig Praxis, Forschung und Bildung voran- und näher zusammenbringen. Das – unantastbare – Gründungskapital haben wir beisammen. Mit Schwung ist der Vorstand gestartet, eine schöne, kreative Zusammenarbeit. Was schon veröffentlicht ist, steht hier: https://kraft-der-gewaltfreiheit.org/ . Wir hoffen, bald Projekte finanzieren zu können, um z.B. mit Veranstaltungen zu einer schönen Plattform für die Kraft der Gewaltfreiheit zu werden.